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 Andreas Herzog
- Einführung in die Literaturwissenschaft

Vogt, Jochen: Einladung zur Literaturwissenschaft. München: Fink 1999 (= UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher 2072) 264 S.

„Warnung vor der Literaturwissenschaft“ sollte dieses Einführungsbuch ursprünglich heißen. Daß es dann doch eine „Einladung“ geworden ist, verdanken wir der Tatsache, daß der Verfasser seinem Gegenstand nicht nur lebenspraktische, sondern auch vergnügliche Seiten abzugewinnen weiß. Der Peter Weiss-Spezialist und Erzähltextanalytiker Jochen Vogt arbeitet seit langem im Bewußtsein, daß sein Fachgebiet der Legitimierung bedarf. Seit drei Jahrzehnten beteiligt er sich an den Diskussionen über die Krise der Germanistik und verteidigt ihren Sinn. „Wie rettet man die Germanistik?“ fragte die FAZ schon 1969. „Vielleicht kann eine Verlagerung nach Ostasien die Germanistik retten“, schlug Die Zeit fünfzehn Jahre später vor. Noch in den Neunzigern wurde festgestellt, was im neuen Jahrtausend gültig bleibt: Germanistik scheint „aus Gewohnheit gelehrt“ und „aus Irrtum studiert“ zu werden, - zumindest in Deutschland.

Was der Auslandsgermanistik befremdlich erscheinen mag, ist im Inland die Frage nach der Notwendigkeit eines Faches, das trotz hoher Studentenzahlen und beeindruckend differenzierter Forschungsergebnisse immer marginaler zu werden droht. Das kann nicht nur darauf zurückgeführt werden, daß die Idee umfassender literarischer Bildung immer weiter an Boden verloren hat. Seit Jahren sieht sich die Literaturwissenschaft der Konkurrenz der Medienwissenschaft ausgesetzt. Auch ihre Bedeutung für die Deutschlehrer/innen –Ausbildung scheint weiter zu sinken.

Nach einer Einführung in diese Problematik, die berücksichtigt, was ein früherer Bundespräsident als Jurist und Textwissenschaftler zur Größe und Krise der Germanistik zu sagen hatte, kommt Vogt auf ein Fach zu sprechen, das sich von einer Nationalphilologie zum Mit- und Gegeneinander pluraler Methoden unterschiedlicher Provenienz entwickelt hat. Sein eigentlicher Gegenstand, die Texte, blieben ihm aber auch im Medienzeitalter erhalten. Als Kern literaturwissenschaftlichen Studiums sei deshalb die Interpretationspraxis zu betrachten (S. 45). Es gehe um plausible und nachvollziehbare Deutungen, deren Spielraum von sehr unterschiedlichen Kontexten bestimmt sein könne.

Die folgenden Ausführungen über Textstrukturen orientieren sich an den traditionellen Gattungen Epik, Lyrik und Dramatik, die freilich als historisch veränderlich zu betrachten seien. Wer Anleitungen für die Analyse von Metren oder Erzähltechniken sucht, wird auf Kaysers „Versschule“ oder Vogts „Aspekte erzählender Prosa“ verwiesen. Die unterschiedliche „Machart“ literarischer Texte wird nur an markanten Beispielen demonstriert. In jedem der 12 Kapitel finden sich jedoch weiterführende Hinweise auf eine Webseite: „www: uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/einladung.htm“

Die „Einladung“ ist eine Einladung zum kritischen Lesen von Texten, die sich nicht nur Germanisten empfiehlt. In „Von Lust und Frust der Lektüre“ (11. Kapitel) wird daran erinnert, daß das Fach vor lauter „Poetiken“ den Leser erst relativ spät entdeckte. Lesen war eine Kulturtechnik, die nur wenigen vorbehalten war und der Erziehung systemkonformer Untertanen diente. Für eine Einführung in die Literaturwissenschaft sind derartige Ausführungen ähnlich ungewöhnlich wie ein Zitat von Günter Netzer, das dem Buch als Motto dient: „Es gibt Fortschritte auf allen Gebieten.“ Vogt schließt mit einem Ausblick auf die Rolle der Literatur im Wandel der Medien, der die Schrift in neue Kontexte stellt.

Auch die Gestaltung des Buches animiert zur Lektüre. Ein journalartiges Layout bietet viele Abbildungen, interessante Textbeispiele und Zitate sowie grundlegende Definitionen. Auch ohne Hypertext-Funktion wird dieses Buch zu einem multimedialen Netzwerk. Man muß nicht alles lesen, kann sich leicht herauspicken, was einen interessiert.

Die „Einladung“ stellt sich auch einem Bereich, der in Deutschland eher ein kümmerliches Dasein fristet, im Ausland jedoch nicht selten für die Literaturwissenschaft selbst gehalten wird. In „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Literaturgeschichte“ plädiert Vogt für eine „vorsichtig distanzierte Wiederannäherung“ an eine „Bildungsinstitution“ des 19. Jahrhunderts, die mit Recht in Verruf gekommen sei. Er empfiehlt Studienanfängern zumindest eine einbändige Literaturgeschichte zu lesen, um sich kritisch mit deren Konstrukten auseinanderzusetzen.

Und wie hält’s Vogt mit der Gretchenfrage der Literaturwissenschaft, der nach ihrer Methode? - In „Wie man eine Methode erkennt, wenn man ihr begegnet“ (S. 178-182) zeigt sich der Essener Professor als demokratischer Ideologiekritiker, der kein bestimmtes Verfahren propagiert. Er hält zu kritischer Reflexion über jede Methode an, was sich gegen theorielastige Programme richtet, die nur neue Deutungsmonopole an Stelle der alten stellen: „Lassen Sie sich nicht einschüchtern! Manche ‚methodisch‘ hochgeschraubten Programme führen, recht besehen, zu sehr bescheidenen Resultaten; und es ist noch der günstigere Fall, wenn man sieht: Das hätte ich mit gesundem Menschenverstand auch herauskriegen können!“ (S. 196)

Vogt weiß, was er schreibt, und bekennt sich dazu. In einem Nachwort an Freunde und Kolleg(inn)en betont er, daß er mit dem Vorwurf, er betreibe „common-sense-Literaturwissenschaft“, gut leben kann (S. 263) - unverstellte und klare Worte in einem gut lesbaren Buch, das man nicht nur Studienanfängern der Germanistik empfehlen kann. Als didaktisch geschickter Lehrer stützt sich der Autor auf die Intelligenz seiner LeserInnen, statt auf ein fachliches Vorwissen, das bei Erstsemestern ohnehin nicht vorhanden ist.

Andreas Herzog (Budapest/Leipzig)

 

Erstveröffentlichung in: Jahrbuch der ungarischen Germanistik 2000. Hg. v. Vilmos Ágel und Andreas Herzog. Bonn, Budapest: DAAD, GuG 2001, S. 240-242.