Wilhelm von
Sternburg
Um Deutschland geht es uns
von Andreas Herzog
Arnold Zweig. Die Biographie
Aufbau, 1998, 336
Seiten, 24 Abbildungen
Arnold Zweig: Dialektik der Alpen
Fortschritt und Hemmnis
Emigrationsbericht oder Warum wir nach Palästina gingen
Essays / 4. Berliner
Ausgabe. Herausgegeben von der Humboldt-Universität und
der Akademie der Künste zu Berlin. Wissenschaftliche Leitung
Frank Hörnigk in Zusammenarbeit mit Julia Bernhard. Aufbau,
1997, 516 Seiten
Arnold Zweig:
Juden auf der deutschen Bühne
Bilanz der deutschen Judenheit 1933
Essays / 3 Berliner
Ausgabe. Aufbau, 1998, 475 Seiten
Deutschlandfunk, Büchermarkt
Manuskript vom: 26.11.98
"Zweig ist ein mitreissender
Erzähler, nie ein starker Denker", notierte Ludwig
Marcuse. Victor Klemperer beobachtete, "daß ihm im
Sprechen die Gedanken zuflossen, daß er laut dachte".
Stefan Zweig bewunderte, daß sein Namensvetter alles habe,
was ihm selber abgehe: "den Mut zu weiträumigen Werken"
und "die mathematische Konzentration auf das Detail".
Joseph Roth meinte: "Er ist ein hochbegabter Schwätzer",
der "aus einem Blickwinkel von anderthalb Graden" das
ganze Universum erfassen wolle. Der Erzähler Arnold Zweig,
der 1887 als Sohn jüdischer Eltern im schlesischen Groß-Glogau
geboren wurde, starb 1968 in Ostberlin: Am 26. November ist sein
30. Todestag. Zu seinem Lebensthema wurde der Erste Weltkrieg,
den er als knapp Dreißigjähriger in der Hölle
vor Verdun als Armierungssoldat miterleben mußte. "Der
Streit um den Sergeanten Grischa" begründete 1927 seinen
Weltruhm. Erst dreißig Jahre später schloß er
den auf sechs Bände wachsenden Roman-Zyklus "Der große
Krieg der weißen Männer" ab, in dem er die Triebkräfte
des menschlichen Verhaltens und gesellschaftlichen Zusammenlebens
exemplarisch zu deuten versuchte.
Schon 1915 erhielt Zweig für
"Ritualmord in Ungarn" den renommierten Kleistpreis
und bis in die zwanziger Jahre hoffte er auf eine Karriere als
Dramatiker. Neben 10 Stücken und 70 Erzählungen legte
er auch ein umfangreiches publizistisches und essayistisches
Werk vor. Obwohl die Auseinandersetzung mit dem Judentum darin
einen großen Raum einnimmt und Zweig als Exilland nicht
zufällig Palästina wählte, setzte sich der Schriftsteller
zeit seines Lebens jedoch vor allem mit Deutschland auseinander:
Als demokratischer Sozialist träumte er von einem friedlichen
und gerechten Vaterland, als deutscher Jude verteidigte er immer
wieder den bedeutenden Anteil der Juden an der deutschen Kultur.
Unter dem Titel "Um Deutschland
geht es uns" hat der Fernsehjournalist Wilhelm von Sternburg
schon 1990 den Versuch unternommen, Leben und Werk Arnold Zweigs
im Rahmen der deutschen Geschichte zu betrachten. Jetzt erschien
im Aufbau-Verlag Berlin eine überarbeitete Fassung dieser
Biographie, die durch neueste Forschungsergebnisse und Archivmaterialien
wesentlich ergänzt wurde.
In ihr wird das Wirken des politischen
Dichters differenziert, in seinen historischen Brüchen und
weltanschaulichen Kontinuitäten dargestellt: Seit dem Ersten
Weltkrieg war Zweig ein politischer Idealist, der weder in der
Weimarer Republik noch in Palästina das ersehnte Vaterland
fand. Auch in der DDR, wo er die letzten Jahrzehnte seines Lebens
verbrachte, sah er sich mit unliebsamen politischen Realitäten
konfrontiert. Von Sternburg würdigt das Engagement des demokratischen
Sozialisten Arnold Zweig, der die Triebkräfte des menschlichen
Verhaltens zu deuten und eine Verbesserung des sozialen Zusammenlebens
zu erreichen versuchte. Seit den dreißiger Jahren geriet
er unter den Einfluß des Marxismus, setzte bis zuletzt
jedoch auf die Erziehbarkeit des Menschen. Kleinbürgerliche
Autoritätsgläubigkeit und leichte Beeinflußbarkeit
hätten den großen Romancier immer wieder zu politischen
Illusionen verführt. Wilhelm von Sternburg schreibt: "Glaubte
er, im Denken eines anderen entscheidende "Erkenntniswahrheiten"
entdeckt zu haben, überprüfte er sie nicht immer mit
der notwendigen intellektuellen Gründlichkeit, sondern vertrat
sie mit euphorischer Unbedingtheit, bis ein neuer "Gott"
seinen Weg kreuzte. So sicher er in seinem ureigentlichen Handwerk,
dem des Romanschriftstellers war, so anlehnungsbedürftig
blieb er in den praktischen Weltfragen. Dies hat viele Entscheidungen
in seinem Privatleben ebenso beeinflußt wie Teile seiner
politischen Essaystik."
Gegenüber seiner persönlichen
Umwelt sei Zweig genauso verletzlich wie egozentrisch gewesen.
Seine Sekretärinnen, die häufig auch seine Geliebten
waren, ließ er beispielsweise wie selbstverständlich
zum Haushalt gehören, wobei er sich und ihnen von seiner
Frau sogar das Bett bereiten ließ! Obwohl der Schriftsteller
seine Frau bis ins hohe Alter liebte, konnte er sie überzeugen,
daß außereheliche Sexualität für die geistige
Inspiration nötig sei. - Sternburg stellt eine Parallele
zu den politische Wirklichkeiten her, über die sich Zweig
ebenso hinwegsetzte, wenn sie seinen Auffassungen oder Interessen
widersprachen. Der Fernsehjournalist bietet ein aufschlußreiches
und differenziertes Gesamtbild von der Persönlichkeit eines
Schriftstellers, dessen Werke zumindest für ein Jahrzehnt
zur "Ehrengalerie des deutschen Romans" gezählt
werden können. Er kann sich dabei auf Arbeiten von britischen,
israelischen und bundesdeutschen Literaturwissenschaftlern stützen,
die das bis in die siebziger Jahre von der DDR bestimmte Bild
des Autors inzwischen entscheidend präzisiert und korrigiert
haben.
Wegen seiner Parteinahme für
das politische System der DDR wurden auch seine bedeutenden Werke
im Westen ignoriert. Im anderen deutschen Staat dagegen wurde
er verehrt und in einer Gesamtauflage von 2,8 Millionen Exemplaren
verlegt. - Das waren zehnmal mehr als in der Bundesrepublik !.
Die Essaybücher, in denen Zweig ein neues Judentum beschwor
oder die Geschichte psychoanalytisch interpretierte, konnten
aus ideologischen Gründen in der DDR jedoch nie veröffentlicht
werden.
Vor zwei Jahren haben die Humboldt-Universität
und die Akademie der Künste eine auf 26 Bände konzipierte
Werkausgabe begonnen, die eine Neuentdeckung Zweigs ermöglichen
soll. Die "Berliner Ausgabe" soll das von der Zensur
der DDR beeinträchtige Werk in seiner ursprünglichen
Gestalt präsentieren und umfaßt auch die Essays, die
allein 5 Bände bilden: Zum Auftakt wurde das noch kurz vor
seinem Tode in Angriff genommene Erinnerungsbuch "Freundschaft
mit Freud" aus dem Nachlaß ediert. Im letzten Jahr
erschienen die unbekannten Essays "Dialektik der Alpen"
und "Emigrationsbericht oder Warum wir nach Palästina
gingen" in einem von Julia Bernhard bearbeiteten Band.
Die "Dialektik der Alpen.
Fortschritt und Hemmnis" ist im palästinensischen Exil
entstanden und bietet nichts geringeres als eine europäische
Kulturgeschichte "vom Ende der Eiszeit bis in die Gegenwart"!
An den Alpen geht Zweig dem Einfluß der Landschaft auf
Geschichte und Charakter des europäischen KuIturraumes nach.
Die Dialektik von Fortschritt und Hemmnis wird im Prozeß
der Zivilisation gesehen, dem destruktive Kräfte entgegen
standen, die schließlich in die Diktatur Hitlers führten.
Auch der 1948 begonnene "Emigrationsbericht
oder Warum wir nach Palästina gingen" wurde bisher
nie veröffentlicht, weil in die sechzehnbändige DDR-Werkausgabe
wohlweislich überhaupt keine größeren essayistischen
Arbeiten aufgenommen wurden. Der Titel täuscht, weil es
sich eigentlich um eine Geschichte Palästinas von der vorbiblischen
Zeit bis zur Gründung Israels handelt. Sie enthält
zwar eine Bilanz der fünfzehn Jahre, die Zweig im Land seiner
Hoffnung verbrachte, bietet aber keinen Bericht über seine
Emigration, die durch halb Europa und schließlich nach
Jaffa führte.
In Fortsetzung der Berliner Ausgabe
wird im September der Essay "Bilanz der deutschen Judenheit
1933" veröffentlicht. Nach seiner Flucht aus Deutschland
hat Zweig die beeindruckenden Leistungen der Juden auf nahezu
allen Gebieten der deutschen Kultur beschrieben. Da er die Machtübernahme
der Nazis hier jedoch nicht ökonomisch, sondern triebtheoretisch
erklärt, konnte auch dieser Text in der DDR nie erscheinen.
Wilhelm von Sternburg betont,
daß Zweig trotz seiner Essays in erster Linie ein phantasiereicher
Erzähler und genialer Roman-Konstrukteur war, der sich auf
ein glänzendes Gedächtnis stützen konnte: Aufgrund
eines Augenleidens mußte er seit dem "Grischa"
nämlich alle seine Bücher diktieren. Ihre Rezeption
blieb lange Zeit beschränkt. Selbst professionelle Leser
haben über die Schlüsselrolle, die psychologische Triebkräfte
in ihnen spielen, schlicht hinweggelesen. - Bei Arnold Zweig
ist also noch einiges zu entdecken. |