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  Volltexte / Archiv


Das bewegte Buch.
Buchwesen und soziale, nationale und kulturelle Bewegungen um 1900.
Hrsg. v. Mark Lehmstedt und Andreas Herzog. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag (In Kommission), 1999. [Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens. Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte, 12] [ISBN 3-447-04206-0]

Inhalt

Vorbemerkung (7)

Wolfgang Schröder
Brücke beim Aufbruch zu neuen Ufer. Zur Integrationsfunktion der Arbeiterpresse. Ein Überblick (9)
Angela Graf
"Socialistica mit großkapitalistischem Chic". Johann Heinrich Wilhelm Dietz - ein "notorischer Sozialdemokrat" wird Parteiverleger (47)
Jürgen Schlimper
Proletarier mit Geschäftssinn. Zur Geschichte der Leipziger Buchdruckerei AG, des Druck- und Verlagsunternehmens der Leipziger Volkszeitung (1901-1938) (69)
Inge Kießhauer
Friedrichshagen, ein Verlagsort "hinter der Weltstadt" (111)
Justus H. Ulbricht
"Lebensbücher, nicht Lesebücher!". Buchhandelsgeschichtliche Ansichten der bildungsbürgerlichen Reformbewegungen um 1900 (135)
Andreas Herzog
Theodor Fritschs Zeitschrift Hammer und der Aufbau des "Reichs-Hammerbundes" als Instrumente der antisemitischen völkischen Reformbewegung (1902-1914) (153)
Thomas Adam
Heinrich Pudor - Lebensreformer, Antisemit und Verleger (183)
Susanne Urban-Fahr
Der Philo-Verlag. Vom "Heimatrecht der deutschen Juden". Publizistik zwischen Gegenbewegung und Selbstbehauptung (197)
Ulrich Linse
"Das Buch der Wunder und Geheimwissenschaften". Der spiritistische Verlag Oswald Mutze in Leipzig im Rahmen der spiritistischen Bewegung Sachsens (219)
Lydia Marinelli
"... es ist seither gleichsam die Buchdruckerkunst für uns erfunden worden ..." Zu den Anfängen psychoanalytischer Zeitschriften (1908-1914) (245)
Andreas Pretzel
Des Kaisers neue Kleider. Karl Vanselows Beitrag zur Schönheitsbewegung und Sittenreform im deutschen Kaiserreich (267)
Mark Lehmstedt
"Durch meinen Verlag fand noch nie ein unsittliches Werk Verbreitung". Der Max Spohr Verlag in Leipzig als publizistisches Zentrum der frühen Homosexuellenbewegung (313)
Marita Keilson-Lauritz
Adolf Brand und Der Eigene. Zur Geschichte einer 'bewegten' Zeitschrift (327)
Ina Pfitzer
Das "Verlangen nach einer Bereicherung und Vertiefung naturwissenschaftlicher Kenntnisse". Die Zeitschrift Kosmos. Handweiser für Naturfreunde - ein Beispiel erfolgreicher Leserbindung (349)
Mirjam Storim
Literatur und Sittlichkeit. Die Unterhaltungsliteraturdebatte um 1900 (369)
Peter Vodosek
Zwischen Philanthropismus und Sedativ: "Die Bücherhallenbewegung" (397)
 
Register (409)
Verzeichnis der Beiträger (429)


Vorbemerkung

An der Wende zum 'Jahrhundert der Extreme' formierten sich innerhalb der deutschen Gesellschaft zahllose Gruppierungen, die alle auf jeweils eigene, oft einander diametral entgegengesetzte Weise Reformen des sozialen, nationalen oder kulturellen Lebens durchzusetzen versuchten. Keine dieser Reformbewegungen konnte bei ihrem Versuch, Normen des sozialen, nationalen oder kulturellen Lebens neu zu definieren, auf das gedruckte Wort als (gerade noch) alleiniges gesamtgesellschaftliches Kommunikationsmittel verzichten. Neue Ideen und Ideologien wurden nicht nur in Büchern, Broschüren, Flugblättern, Zeitschriften und Zeitungen formuliert und propagiert, vielmehr übte das Medium der typographischen Kommunikation zugleich auch einen bestimmten, wenngleich oftmals schwer erkennbaren Zwang auf Formulierung und Propagierung dieser Ideen und Ideologien aus. Für viele Bewegungen bedeutete die Organisation der Leser die Organisation der Bewegung selbst - Verlage, Buchreihen, Zeitungen und Zeitschriften wurden auf diese Weise zu Quell- und Bezugspunkten der Bewegungen.

Diese Entwicklung, die nach der Reichsgründung 1870/71 einsetzte und in den beiden letzten Friedensdekaden des Kaiserreichs zu ungeheurer Breite anschwoll. ist unter buchgeschichtlichen Aspekten bislang nur ungenügend erforscht worden. Die Aufmerksamkeit galt bislang vorrangig den literarischen Bewegungen zwischen Naturalismus und Expressionismus und ihren großen Verlegern von Wilhelm Friedrichs über Samuel Fischer bis hin zu Kurt Wolff: Namen wie die von Johann Heinrich Wilhelm Dietz (über den Angela Graf vor kurzem die erste Monographie vorgelegt hat), Hermann Teistler, Erich Matthes, Theodor Fritsch, Heinrich Pudor, Max Spohr, Adolf Brand, Karl Vanselow, Oswald Mutze wird man dagegen - wie zahllose andere, die eine eingehende Darstellung ebenso verdienten vergeblich in den bisherigen Geschichten des deutschen Buchhandels suchen. Doch auch die Historiker, die sich in den letzten Jahren mit wachsender Intensität einzelnen Reformbewegungen der Kaiserzeit zugewandt haben, konnten merkwürdigerweise (Ausnahmen bestätigen die Regel) der Mediengeschichte "ihrer" Bewegung kaum ein Interesse abgewinnen. Welche weißen Flecken hier noch bestehen, vermag der vorliegende Band zumindest anzudeuten.

Der Band versammelt den überwiegenden Teil der für den Druck grundlegend überarbeiteten und erweiterten Referate der Tagung "Das bewegte Buch. Buchwesen und soziale, nationale und kulturelle Bewegungen um 1900", die im September 1998 vom Leipziger Arbeitskreis zur Geschichte des Buchwesens in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet wurde. Aus Gründen der Überlastung mit anderen Arbeiten konnten Herr Prof. Dr. Stephan Füssel (Mainz) und Frau Dr. Inka Benz (Berlin) ihre Vorträge über "Literarische Bewegungen und literarische Programmverlage der Jahrhundertwende" bzw. über "Die Publizistik der zionistischen Bewegung" nicht für den Druck bereitstellen - die Herausgeber bedauern die dadurch entstandenen Lücken. Umso dankbarer sind wir Herrn Prof. Dr. Ulrich Linse, Frau Dr. Lydia Marinelli und Frau Dr. Marita Keilson-Lauritz für ihre speziell für diesen Band geschriebenen Aufsätze, die eine wesentliche Ausweitung des Tagungsrahmens ermöglichen. Daß auch damit eine allumfassende oder doch wenigstens alle relevanten Aspekte thematisierende Aufarbeitung noch in weiter Ferne liegt, versteht sich bei der Komplexität des Gegenstandes wohl von selbst.

Der Dank der Herausgeber gilt zuerst dem Leipziger Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung und seiner Leiterin, Frau Ursula Koch-Laugwitz, ohne deren Unterstützung die Tagung so nicht hätte stattfinden können. Einmal mehr ist auch dem Kuratorium Haus des Buches e.V. in Leipzig für seine Gastfreundschaft und den Mitarbeitern des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Bücherei Leipzig für vielfältige organisatorische Hilfe zu danken.

Mark Lehmstedt
Andreas Herzog