Das schwärzeste Kapitel der Buchstadt vor
1933.
Theodor Fritsch, der "Altmeister
der Bewegung", wirkte in Leipzig.
In: Leipziger Blätter,
H.30, Frühjahr 1997, S. 56-59.
Der deutsch-völkische Schriftsteller
Theodor Fritsch, der von 1879 bis 1933 in Leipzig lebte, hinterließ
über sechzig selbständige Buchveröffentlichungen,
zahlreiche von ihm selbst so genannte "Flugblätter"
und eine schwer überschaubare Zahl von Zeitschriftenartikeln.
Als Verlagsleiter und Herausgeber edierte er mehrere, zum Teil
langlebige Periodika und auflagenstarke 80cher. Als Politiker
arbeitete er in Verbänden, initiierte Vereine und war für
die Deutschvölkische Freiheitspartei als Reichstagsabgeordneter
tätig. Seine wirkungsmächtigste Publikation, das "Handbuch
der Judenfrage", repräsentiert die Kontinuität
des radikalen völkischen Antisemitismus von den achtziger
Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs.
Von 1887 bis 1944 erreichte es neunundvierzig Auflagen. Obwohl
Fritsch, wo es um "germanische" Volksangehörige
ging, einen ausgeprägten sozialen Sinn besaß und in
Deutschland einer der ersten war, die Pläne für eine
Gartenstadt entwarfen, verkörpert der Publizist und Verleger
das schwärzeste Kapitel der Buchstadt Leipzig vor 1933.
Daß Fritsch den unheilvollen Ruhm beanspruchen darf, zu
einem Ideengeber der Nationalsozialisten geworden zu sein, hat
ihm Hitler persönlich attestiert.
Theodor Fritsch wurde am 28.
Oktober 185Z in Wiesenena bei Schkeuditz geboren. Er selbst gab
an, daß er aus einem .verarmten, aber gesunden" Bauerngeschlecht
stamme. Nach dem Studium eröffnete er in Leipzig ein mühlentechnisches
Büro, wo er seit 1880 eine Zeitschrift für die deutschen
Müller herausgab. In der Industrialisierungskrise der siebziger
Jahre wurde er mit der mißlichen sozialen Lage der Kleinmüller
bekannt. Fortan engagierte er sich für verarmte deutsche
Handwerker und setzte sich für die Bewahrung des gefährdeten
Bauernstandes ein. Als Gründer der "Sächsischen
Mittelstands-Vereinigung" (1905) verteidigte er den "gesunden
deutschen Mittelstand" und seine geistigen Lebensgrundlagen
sowohl gegenüber der Großindustrie als auch gegenüber
den Sozialdemokraten. Den Mittelstand hob er als einzig staatstragende
Schicht für Staat und Monarchie hervor.
Seine Vorstellungen von einer
Gesellschaft, welche die Interessen des Kleinbürgertums
und des Bauernstandes sicherte. waren antimodern und zentralistisch
geprägt. Zum Schutze der deutschen Volksgemeinschaft und
ihrer Traditionen forderte er den regulierenden Eingriff des
Staates. Im Zusammenhang mit seinen antikapitalistischen Reformbestrebungen
sind die Modellentwürfe einer planmäßig angelegten
Zukunftsstadt zu sehen, die er vor hundert Jahren entwarf. Die
"Stadt der Zukunft" sollte ein "organisches Wesen"
sein, das über einen "gesunden Kern" und eine
lebendige "innere Ordnung" verfügt Um domartige,
monumentale Gebäude im Zentrum staffelte er Ringzonen. die
sich von "Privatbauten von vornehmem Charakter" und
"Wohnungen der besseren Art" bis zu den Arbeiterquartieren
und Fabriken an der Peripherie erstrecken sollten. Wie wenig
später in Ebenezer Howards "Garden-Cities of Tomorrow"
sollten sie mit einem Gürtel landwirtschaftlich genutzten
Landes umgeben werden und in ländliche Zonen übergehen.
Im Zentrum wollte er den Straßenverkehr unter die Erde
verlegen. In das Stadtgebiet integrierte er grüne Oasen,
freie Plätze und einspringende Waldungen. Wie bei Howard
und wenig später in Dresden-Hellerau verwirklicht, basierte
die organische Anlage auf der Grundlage gemeinschaftlichen Bodenbesitzes.
Im Interesse der "Volksgemeinschaft" sollte dem Bodenwucher
und dem Chaos zerstörerischer Privatinteressen entgegengewirkt
werden.
Als "Gartenarchitekt",
der das Wachstum der schönen und nützlichen Pflanzen
hegt, während er das häßliche und schädliche
Unkraut bekämpft, betätigte sich Fritsch allerdings
auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht. Wie er 1896 selbst
betonte, sollten seine Stadt-Entwürfe nur den ersten Schritt
zur organischen Ordnung der Gesellschaft bedeuten. Fritsch betrachtete
den Staat als Gärtner, der das "gesunde Wachstum"
des deutschen Volkstums sichern und das Unkraut ausreißen
müsse. Von Anfang an ließ er dabei keinen Zweifel,
daß er die "international organisierten", "sich
immer weiter ausbreitenden" Juden als das "Unkraut"
betrachtete, das es zu bekämpfen gelte.
Antimoderne Lebensreformbestrebungen,
wie sie Fritsch verkörperte, waren in der Wilhelminischen
Epoche nicht ausschließlich, aber oft mit deutschnationaler
und antijüdischer Gesinnung verbunden . Die Heimatkunstbewegung
und damals populäre Werke wie Julius Langbehns "Rembrandt
als Erzieher" (1891) geben davon hinreichend Zeugnis. Was
Fritsch gegenüber anderen Autoren exponierte, war sein radikaler
Rassenantisemitismus. Den deutschen Kleinbürgern, die in
der Folge von Gründerkrach und Modernisierungskrise auf
der Strecke geblieben waren, präsentierte er Sündenböcke,
die angeblich von ihrem Schicksal profitiert hätten.
Im Bemühen, den Antisemitismus
auf eine möglichst breite Basis zu stellen, begann Fritsch
1885 die "Antisemitische Correspondenz" herauszugeben
- eine Zeitschrift, die soziale Fragen mit antijüdischen
Ressentiments beantwortete. Als Verfechter eines Antisemitismus,
der auf "Fakten und Tatsachen" gestützt sein sollte,
bekämpfte er den auf bloßen Gefühlen basierenden
spontanen Radau-Antisemitismus, Fritschs Grundthese war, daß
sich die Juden aufgrund ihrer rassischer Merkmale nicht anders
als "parasitär" verhalten konnten und weder durch
Akkulturation noch durch Taufe zu Teilen der deutschen Nation
werden könnten. Er vertrat den Antisemitismus in seiner
radikalsten, völkisch-rassistischen Variante, wodurch er
nur einen eingeschränkten Anhängerkreis hatte.
Daß er dennoch eine große
Gefahr darstellte, zeigt sein Bemühen, den Antisemitismus
zu einer überparteilichen Bewegung auszubauen. Schon in
den achtziger Jahren plädierte er dafür. alle politischen
Parteien gleichermaßen mit antisemitischen Ideen zu durchsetzen.
Auf zahlreichen Kongressen und im Vorstand der "Antisemiten
Vereinigung" wandte er sich gegen die Bildung einer gesonderten
Partei. Unter dem Sammeltitel "Brennende Fragen" verbreitete
er in den achtziger Jahren vierzig "Nationale Flugblätter
zur Erweckung des deutschen Volksbewußtseins", die
dezidiert antisemitische Antworten auf das deutsche Kleinbürgertum
bewegende Fragen wie "Wo ist unser Geld geblieben?",
"Nützen oder schaden uns die Zeitungen?" oder
"Kornwucher an der Börse" gaben.
Seit 1887 veröffentlichte
Fritsch den lange projektierten, von seinen Gesinnungsfreunden
bereits erwarteten "Antisemiten-Katechismus", der -
wie es im Vorwort heißt - eine "Zusammenstellung des
wichtigsten Materials zur Argumentation gegen die Juden"
bieten wollte. Fritsch stützte sich nicht nur auf zeitgenössische
Antisemiten von Eugen Dühring über Paul de Lagarde
bis zum nationalkonservativen Historiker Heinrich von Treitschke.
In der Fortsetzung, die unter dem endgültigen Titel "Handbuch
der Judenfrage" er schien, operierte er mit antijüdischen
Zitaten anerkannter Autoritäten von Luther bis zu den deutschen
Klassikern . Propagandistisch geschickt, wenn auch für viele
Leser letztlich nicht überzeugend, formulierte er die zwanzig
wichtigsten Fragen, die sich den Deutschen mit Blick auf die
Juden stellten. und beantwortete sie auf seine Weise Frage: "Warum
sollen aber die Juden nicht dieselben Rechte haben wie die übrigen
Bürger?." Antwort: "Weil sie dieselben nicht verdienen."
- Frage: "Haben nicht auch viele Juden in den letzten Kriegen
ihr Blut für das Vaterland vergossen?" Antwort: "Es
wird so arg nicht sein!"
Drei Jahrzehnte vor den Äußerungen
Hitlers über die "Gefahr, die das Judentum für
unser Volk bildet" (1919), wollte der völkische Autor
Deutschland von einer ihm "fremden Rasse" "reinigen".
Schon 1887 forderte er die Beschränkung ihrer staatsbürgerlichen
Rechte. Die "gesetzliche Ausscheidung aus dem deutschen
Volk" könne mit den Mitteln der Vertreibung oder der
Ghettoisierung erreicht werden. Zumindest an einer Stelle sprach
er ihnen das Lebensrecht ab: "Der schlechte nichtsnützige
Mensch hat keine Daseinsberechtigung, und muß, wie jeder
Verbrecher ... unschädlich gemacht werden." Theodor
Fritsch liefert damit einen Beleg, daß es in Deutschland,
wie Daniel J Goldhagen betont hat, lange vor Hitler einen "eliminatorischen
Antisemitismus" gab. Wie von den Kritikern seines Buches
"Hitlers willige Vollstrecker" jedoch klargestellt
wurde. kann der Holocaust aus diesem letztlich nicht erklärt
werden.
Was sich aus historischem Abstand
wie die Auslassungen eines Wahnsinnigen liest, hatte Methode
und fand im "Lande der Dichter und Denker" nicht wenige
Anhänger. Aufgrund seiner Primitivität und Militanz
konnte es jedoch keine breite Resonanz finden. Der "gemäßigtere
Antisemitismus" von deutschen Geistern wie Richard Wagner,
Heinrich von Treitschke oder Werner Sombart, der kulturell, wirtschaftlich
und politisch begründet wurde, hatte beim deutschen Bürgertum
eine weit größere Wirkung Als Organ der "Deutschsozialen
Partei" erreichte die "Antisemitische Korrespondenz"
bis in die neunziger Jahre hinein jedoch immerhin 7200 feste
Bezieher.
Theodor Fritschs Bemühungen,
eine das deutsche Volk vereinende antisemitische Bewegung zu
formieren. um Deutschland vom "vaterlandslosen Kapitalismus
der Juden" und "ihrem demokratischen System" zu
erlösen, fanden nur phasenweise eine größere
Anhängerschaft. Mit der 1902 begonnenen Zeitschrift "Hammer"
suchte der Verlagsleiter den seit Mitte der neunziger Jahre abgeflauten
Antisemitismus wiederzubeleben Seinem Ruf zum Sammeln folgten
zunächst jedoch nur wenige Kampfgefährten. Im ersten
Jahrzehnt unseres Jahrhunderts konnte sich der Herausgeber nur
auf einen kleinen Kreis Gleichgesinnter stützen, der es
zudem vorzog, im verborgenen zu wirken. Der "Hammer"
erreichte zunächst nicht mehr als 2000 Leser.
Welchen Bodensatz die von 190Z
bis 1944 in Leipzig erschienenen "Blätter für
deutschen Sinn" dennoch bildeten, zeigt ein Blick auf die
Namen seiner Mitarbeiter. Unter ihnen finden sich zahlreiche
Aktivisten der völkischen Bewegung und Verfechter der Rassen-ldeologie.
Der berühmt-berüchtigte Herausgeber von "Ostara",
der "Bücherei für Blonde", Jörg Lanz
von Liebenfels. der frühe Förderer Hitlers Dietrich
Eckart und Artur Dinter, der Verfasser des Bestseller-Romans
"Die Sünde wider das Blut" . der in nur drei Jahren
eine Auflage von 200 000 Exemplaren erreichte. sind nur einige
Beispiele. Nach dem ersten Weltkrieg rekrutierten sich die Autoren
aus den Antisemiten des Alldeutschen Verbands, des Deutschvölkischen
Schutz- und Trutzbunds sowie der frühen NSDAP. Größere
Aufmerksamkeit erlangte Fritsch, der in seinem Leben über
dreißigmal vor Gericht gestanden haben soll, als er 1910
vom Königlichen Landgericht Leipzig wegen Gotteslästerung,
Verletzung religiöser Gefühle und Gefährdung der
öffentlichen Ordnung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt
wurde. Der Schriftsteller hatte den "Judengott Jahwe"
einen "Gott des Lasters" und "kleinlicher Ranküne"
genannt. Daß der Angeklagte in der Überzeugung gehandelt
hatte, mit der Bekämpfung des Judentums eine sittliche Pflicht
gegenüber seinem Vaterland zu erfüllen, wurde strafmildernd
in Rechnung gestellt! Wie sich an der Auflagenentwicklung seiner
Bücher ablesen läßt, erlebte der Autor mit der
Verstärkung des Antisemitismus wahrend des ersten Weltkriegs
eine Renaissance. In den Jahren 1911 bis 1924 wirkte er vor allem
durch jene zehn Bücher, die zwischen vier und zehn Auflagen
erreichten. Unter diesen waren sein "Beweismaterial gegen
Jahwe", "Der falsche Gott" (1911 ) und eine Schrift
über "Die geistige Unterjochung Deutschlands"
(1911). Erfolgreich waren auch Titel wie "Die Juden im Handel
und das Geheimnis ihres Erfolges" (1913), der "Anti-Rathenau"
(1918),"Der jüdische Zeitungspolyp" (1921) oder
"Das jüdische Moral- und Bluts-Mysterium" (1920).
Fritschs Hauptwerk aber blieb das im handlichen Taschenformat
edierte "Handbuch der Judenfrage", das bis zum Hitler-Putsch
1923 neunundzwanzigmal wiederaufgelegt. erweitert und "vervollkommnet"
worden war.
Den Absatz seiner Schriften steigerte
der Verleger seit 1905 durch sogenannte Hammer-Lese-Gemeinden.
Mit dem l91Z in Leipzig gegründeten "Reichshammerbund"
als einheitlicher Reichsorganisation wollte Fritsch die neue
Ära eines überparteilichen Antisemitismus einleiten.
Die unter Leitung von Alfred Roth stehende Organisation blieb
jedoch ein kleiner völkischer Verein neben vielen anderen
und dehnte sich kaum über das bisher Erreichte aus. l9ZO
ging sie in den weit bekannteren "Deutschvölkischen
Schutz- und Trutzbund" über. Das nationalistische und
antisemitische Ideenspektrum vor 1933 war weit differenzierter,
als in der DDR vermittelt wurde. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede
zwischen "Deutsch-Völkischen" und "Nationalsozialisten",
zwischen "Deutsch Nationalen", der "Konservativen
Revolution", den "Revolutionären Nationalisten"
und "Nationalbolschewisten" hat der Historiker Kurt
Sontheimer im Buch "Antidemokratisches Denken in der Weimarer
Republik" dargestellt. das seit 1962 in der Bundesrepublik
zu einem Standardwerk geworden ist. Die "Deutsch-Völkischen"
waren bereits im 19. Jahrhundert eine politische Bewegung mit
entsprechenden Parteien, Vereinen, Publikationen und Zeitschriftenorganen.
Es ist von daher nicht verwunderlich, daß Fritsch und Hitler
zunächst wenig miteinander zu tun haben wollten, Fritsch
hielt Hitler für einen "Maulhelden", der die völkische
Idee in Gefahr bringe. Hitler betrachtete Fritsch als "Gelehrten",
der es nicht vermochte, ihr Massenbasis und politische Stoßkraft
zu verschaffen.
Daß der Schriftsteller
und Herausgeber im Blick auf den Antisemitismus dennoch als Ideenlieferant
Hitlers angesehen werden kann, liegt auf der Hand. Aus den zu
einer Weltanschauung geformten antijüdischen Ressentiments
suchte er eine überparteiliche Bewegung zu schaffen. Auf
der Grundlage eines rassistischen Antisemitismus sollten die
"volksfremden" Juden "planmäßig"
und "juristisch" aus der Volksgemeinschaft ausgeschieden
werden. Der eigentliche Kern von Fritsch Verschwörungstheorie
war die These, daß die "jüdische Rasse"
nicht nur ein Volk und eine Religionsgemeinschaft, sondern einen
geheimer Sonderstaat mit eigenen Gesetzen bilde. Durch diesen
beherrsche sie nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt.
Fritschs "Handbuch der Judenfrage"
hatte propagandistische "Vorzüge", die der demagogischer
"Volksaufklärung" der Nazis entgegenkamen. Auf
komplizierte Fragen bot es Antworten von schlagender Simplizität.
Ein Gefolgsmann wußte zu schätzen, daß Fritsch
auch dem "gemeinen Manne" mit geringer Schulbildung
"verwickelte und abstrakte Dinge" leicht und gut faßlich
darzulegen vermochte. "Seinen Darstellungen zu folgen"
se "nicht mühsames Nachdenken", "mit intuitiver
Kraft" sehe Fritsch den "Erscheinungen auf den Grund"
Um seine Ziele zu verwirklichen, bediente sich Fritsch auch konspirativer
Methoden Er gründete Geheimbunde wie den "Germanenorden".
veröffentlichte einen großen Teil seines Werks unter
Pseudonymen und trug sich schon vor dem ersten Weltkrieg mit
Umsturzplänen gegen das von ihm gehaßte parlamentarische
System.
Im seinem Nekrolog wurde resümiert,
daß es Theodor Fritsch "nach einem langen und reichen
Leben" vergönnt gewesen sei, die von ihm gestreute
Saat doch noch aufgehen zu sehen. Seine Schriften hatten "dem
vielgeliebten Führer unseres Volkes" in seinen Lern-
und Leidensjahren geholfen, sich über die eigene Weltanschauung
klarzuwerden. Die Worte des Markkleeberger Pfarrers bei Fritschs
Beerdigung waren nicht nur eine salbungsvolle Reverenz, die den
neuen Verhältnissen entsprach. Sie bezeichneten eine Bedeutung,
die dem Herausgeber des Antisemiten Kompendiums von den Nazis
selbst bestätigt wurde. Adolf Hitler, der die Ideengeber,
von denen er sich seine Weltanschauung zusammensuchte, eher verschwieg,
attestierte Fritsch: "Das Handbuch der Judenfrage"
habe ich bereits in früher Jugend in Wien eingehend studiert.
Ich bin überzeugt, daß gerade dieses in besonderer
Weise mitgewirkt hat, den Boden vorzubereiten für die nationalsozialistische
Bewegung. Ich hoffe, daß das Handbuch allmählich in
jeder deutschen Familie zu finden ist."
Das zu diesem Zeitpunkt in einunddreißig
Auflagen verbreitete Handbuch erlebte unmittelbar nach Hitlers
Machtantritt sechs neue Ausgaben Obwohl Fritschs Kompendium in
Darstellungen über die geistigen Wegbereiter nicht oder
nur am Rande erwähnt wird, konnte es erklären, wieso
Hitler - wie Eberhard Jäckel konstatierte - schon 1919 über
eine "erstaunlich geschlossene" Weltanschauung verfugte.
in deren Zentrum der Antisemitismus stand.
Unter Fritschs Anhängern
befand sich nicht zufällig genau jener Kreis von Gesinnungstätern.
der seine Ideen in die Wirklichkeit umsetzte und später
im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß keinerlei Reue
zeigte. Neben Adolf Hitler und Joseph Goebbels bekundeten nationalsozialistische
Funktionsträger wie Hermann Göring, Wilhelm Frick.
Hans Frank und Julius Streicher im September 1933 Fritschs Hinterbliebenen
ihre persönliche Anteilnahme.
Der Führer Adolf Hitler
sei der Vollender Theodor Fritschs, mit dem "ein Mann heimgegangen"
sei. "der die Geschichte des deutschen Volkes mitgeschrieben
hat", stellte sein engster Mitarbeiter Kurt Herwarth Ball
im "Hammer" fest Im Februarheft des Jahres 1933 hatte
Fritschs Redakteur Hitlers Machtübernahme am 30 Januar 1933
als "Schicksalstag" der Deutschen begrüßt.
"Nach 14 Jahren Not das eine Wort: Endlich!" jubelte
er Kurt Herwarth Ball. der den "Hammer" nach Fritschs
Tod weiterfuhren sollte. sandte einen ganzen Katalog völkischer
Mahnungen an den Führer der NSDAP Zu den "Grundforderungen
der deutschen Revolution" gehöre die "Aberkennung
des Staatsbürgerschaftsrechts der Juden" (Punkt 10)
und die "Ausschaltung volks- und blutsfremder Einflüsse"
(Punkt 15). Nach Meinung Balls war der neue Reichskanzler im
ersten Monat seiner Herrschaft noch nicht entschieden genug gegen
das parlamentarische System und die Juden vorgegangen. Wie sich
mancher Leipziger erinnern wird, spielte der Schriftsteller Kurt
Herwarth Ball auch noch nach 1945 im literarischen Leben der
Stadt eine Rolle. Seit 1952 war er Geschäftsführer
des Leipziger Schriftstellerverbands, 1957 mußte er von
dieser Funktion zurücktreten. Unter der Überschrift
"Sätze für gestern für heute" waren
den Forderungen Balls "wahrhaft prophetische" Worte
seines Meisters vorangestellt worden, die Fritsch bereits über
drei Jahrzehnte zuvor, im März 1902, von sich gegeben hatte:
"Das parlamentarische Geschwätz wird allen zum Überdruß.
Schon ergeben sich Wünsche, daß eine frische, fröhliche
Diktatur uns retten möchte ... Und es ist nicht einmal viel
zu riskieren! Wenn an der richtigen Stelle eingesetzt würde,
so stünde die Begeisterung aller Vernünftigen hinter
einem solchen Schritt..."
Die Beerdigung des "Altmeisters"
der völkischen Bewegung, die am 12. September 1933 auf dem
Friedhof in Markkleeberg-Mitte stattfand, wurde zu einer Großversammlung
der neuen Machthaber und des ihnen ergebenen Klerus: Neben den
Führern der sächsischen SA waren Reichsstatthalter
Mutschmann. Innenminister Dr. Wilhelm Frick, Landesbischof Coch,
Landtagspräsident Donicke und Leipzigs Oberbürgermeister
Dr. Carl Goerdeler anwesend. Fritschs Grab hat die wechselnden
politischen Zeiten hinter einem schützenden Schild grünen
Bewuchses überstanden.
Andreas Herzog |